Samstag, September 02, 2017

"Der diskriminierte Mann" – Titelgeschichte des SPIEGEL berichtet über uns Männerrechtler

Auf der Titelseite der heute erscheinenden Ausgabe des SPIEGEL findet man ungewohnte Zeilen: "Der diskriminierte Mann. Warum Trennungsväter so oft das Nachsehen haben". Auch in der Heftvorschau wird das Thema "Diskriminierte Väter" angeteasert.

Der sich von Seite 60 bis Seite 68 erstreckende Artikel der SPIEGEL-Autorin Anne Seith steht nur im Anriss online. Dass es darin nicht ausschließlich um die Diskriminierung von Vätern geht, verraten bereits die ersten Absätze:

Matthias Becker kennt das schon: Er nennt einer neuen Bekanntschaft seinen Beruf, und das Gegenüber schmunzelt. Männerbeauftragter der Stadt Nürnberg, soll das vielleicht ein Witz sein?


Wohl kaum – denn es gibt Probleme, die viele Menschen betreffen und in unseren Leitmedien trotzdem unsichtbar bleiben:

Seitdem [Becker] im Mai 2016 seinen Job angetreten hat, rennen die Männer ihm die Bürotür ein. "Viele sagen: Endlich hört mir mal jemand zu."

Becker ist in seiner Position ein Unikat im Land. Männer gelten gemeinhin beim Thema Geschlechterdiskriminierung als Täter, nicht als Opfer. Warum eigentlich? Beispiel häusliche Gewalt: 18 Prozent der polizeilich erfassten Opfer waren einer Auswertung von 2015 zufolge Männer. "Aber wo schicke ich die hin, wenn sie nicht mehr nach Hause können und kein Geld haben?", fragt Becker. Für Frauen gebe es in dieser Situation wenigstens Zuflucht in einem Frauenhaus. Männer muss Becker dann schon mal in die Obdachlosenunterkunft vermitteln.


"Eine moderne Gleichstellungs- und Familienpolitik muss auch die Männer mit ins Boot holen" wird Becker an anderer Stelle des Artikels zitiert, in dem es weit überwiegend um die Benachteiligung von Vätern dadurch geht, dass sie zwar zahlen, aber keinen Kontakt zu ihren Kindern haben dürfen. Neben ausführlich geschilderten Fallbeispielen erwähnt der Artikel das Wechselmodell, der Cochemer Praxis – und den Unmut von uns Männerrechtlern:

Männerverbände beklagen deshalb nicht ganz zu Unrecht die "Mütterlastigkeit" der Politik und deren "ständiges Väterbashing", auch wenn der Ton zuweilen fragwürdig ist.


Der fordernde Tonfall ist indes verständlich, denn die großen Parteien ignorieren diesen Unmut seit Jahrzehnten:

Fragt man Fachpolitiker der Grünen, der SPD oder der Union, sagen alle, dass das Unterhaltsrecht reformbedürftig sei. Konkrete politische Vorschläge allerdings gibt es bislang keine. Im Wahlkampf spielen andere Themen eine Rolle.


Genderama hatte gestern auf die kommende Bundespressekonferenz der Interessengemeinschaft Jungen, Männer und Väter (IG-JMV) in Berlin hingewiesen. Diese Interessensgemeinschaft wird von Gerd Riedmeier geleitet, der den Ersten Deutschen Genderkongress in Nürnberg veranstaltete. Sie setzt sich aus vier Männergruppen zusammen, darunter MANNdat, wo ich selbst Mitglied bin.

Jetzt berichtet auch der SPIEGEL über uns:

"Da draußen gibt es eine Wut, die unglaublich ist", sagt Gerd Riedmeier. Der Bayer mit dem grauen Haarschopf und dem rollenden R verdient sein Geld eigentlich als Stadtführer und Mediator, einen großen Teil seiner Zeit widmet er allerdings seiner Tätigkeit als Sprecher der "Interessengemeinschaft Jungen, Männer und Väter". Es ist einer von mehreren Männerverbänden, die sich in den vergangenen Jahren gegründet haben und die Fachpolitikern zufolge mittlerweile zum Teil ebenso "brachial" beanspruchen, für das Kindswohl zu sprechen, wie so mancher Frauenverein.

Riedmeier selbst beteuert, diese "Geschlechterpolarisierung" wolle er "gar nicht mehr sehen". Gleichzeitig gehört zu den zentralen Forderungen der Vereinigung ein "standardisierter" Vaterschaftstest noch im Kreißsaal, um "prophylaktisch" auch "einem möglichen Betrug bezüglich der Barunterhaltsleistungen für das Kind" entgegenzuwirken. Es dürfte diese bizarre Mischung sein, die eine Familienpolitikerin genervt den Kopf schütteln lässt, wenn sie auf die Forderungen der Männerlobby angesprochen wird.


Warum Journalisten Dinge so schnell als "bizarr" empfinden, die über ihren gewohnten Horizont hinausgehen, werde ich nie verstehen. Wenn Frauen geschlechterpolitische Forderungen stellen, ist das selbstverständlich. Stellen Männer solche Forderungen, signalisiert der SPIEGEL Verständnis über die Genervtheit von Politikern, die ihren Bürgern eigentlich ohne Ansehen des Geschlechts dienen sollten.

In den Artikel eingefügt ist an dieser Stelle Anne Seiths Interview mit der sozialdemokratischen Frauenministerin Barley (ebenfalls nur im Anriss online), die kurz vor der Bundestagswahl erklärt, auch die Väter stärker in den Blick nehmen zu wollen:

SPIEGEL: Ihr Ministerium ist dem Namen nach zuständig für: Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Können Sie verstehen, dass sich manche Männer diskriminiert fühlen?

Barley: Ich halte die Probleme von Frauen auch außerhalb des familiären Bereichs noch für so gravierend, dass es den Namen rechtfertigt. Trotzdem müssen wir Jungen, Väter und Männer auch in den Blick nehmen.


So sei sie alleinerziehende Mütter zweier Söhne und kenne das Problem, dass Jungen bei überwiegend weiblichen Lehrkräften oft anecken. (Ach guck, sobald Feministinnen von einem Männerproblem mit betroffen sind, werden sie wach.) Bei der Frage nach dem von Väterbänden geforderten Wechselmodell eiert Barley herum: Dieses sei "für manche richtig, aber nicht in allen Fällen". Neue Gesetze seien keine Lösung, die Diskussion sei ihr zu eindimensional. Lieber möchte sie das Beratungsangebot für Eltern, die sich trennen, ausbauen. Diskriminierende Regelungen, denen zufolge unverheiratete Väter die elterliche Sorge für ihr Kind erst von der Mutter oder von einem Gericht übertragen bekommen müssen, wolle sie sich "näher anschauen".

Wirklich zupackende Politik sieht anders aus. In diesem Interview merkt man deutlich, dass Barley es sich mit ihrer eigentlichen Klientel auf keinen Fall verscherzen möchte.

Der Artikel schließt mit der folgenden Passage:

Auch ein anderes Eingeständnis ist überfällig: Soviel auch noch getan werden muss, um Frauen beruflich und damit auch finanziell die gleichen Chancen zu ermöglichen wie Männern – es gibt auch Bereiche, in denen es Männer aufgrund ihres Geschlechts schwer haben. Im Bundesfamilienministerium scheint sich diese Einsicht langsam durchzusetzen.

Mitte Juli lud das Haus Interessenvertreter und Fachleute zu einem "Zukunftsgespräch: Gemeinsam getrennt erziehen" ein. Erstmals wurde eine vom Allensbacher Institut durchgeführte Studie präsentiert, die die Lebensrealitäten getrennter Familien untersuchte. 35 Prozent der befragten Väter wünschen sich mehr Kontakt zu ihren Kindern. Und rund die Hälfte aller Befragten wünscht sich eine gleichberechtigte Betreuung der Kinder. Es muss dringend diskutiert werden, wie dieser Wunsch Realität werden kann.

Ministerin Barley verspricht, dabei "Jungen, Männer und Väter auch in den Blick" zu nehmen (siehe Interview Seite 64). Väterlobbyisten wie Riedmeier sind begeistert von solchen Aussagen. "Da wurde ein ganz neuer Ton im Diskurs angeschlagen", sagt er.

Die Frage ist nur, was davon übrig bleibt, wenn Barley nach der Bundestagswahl nicht ins Familienministerium zurückkehrt.


Alle Achtung: Einen Artikel so zu stricken, dass er mit der impliziten Aufforderung endet, ausgerechnet die SPD wegen ihrer Männerpolitik zu wählen – das muss einem erst mal gelingen! Hier würde das Wort "bizarr" passen. Die FDP etwa, die das Wechselmodell mit echtem Nachdruck fordert, kommt in dem Artikel mit keiner Silbe vor.

Und trotzdem bleibt er eine mehr als gute Nachricht: Denn welchen Spin der SPIEGEL hier auch zu drehen versucht, um die Stimmen der entrechteten Väter ausgerechnet auf die Sozialdemokraten zu lenken – offenkundig bleibt, dass das Thema "Männerdiskriminierung" nicht länger ignoriert werden kann. Und die Parteien werden über kurz oder lang in einen Wettbewerb miteinander treten, um auch den geschlechterpolitischen Anliegen der männlichen Hälfte der Bevölkerung gerecht zu werden. Von daher kann man Gerd Riedmeiers Begeisterung über diese Entwicklung durchaus teilen.

Als ich auf dem Ersten Deutschen Genderkongress 2015 mit dem renommierten Väterrechtler Franzjörg Krieg einen Workshop leitete, sagte er zu mir: Wir Väterrechtler haben gegenüber euch generalisierten Männerrechtlern einen Vorsprung von etwa zehn Jahren. Jetzt, nach mehr als 25 Jahren, fängt unsere Arbeit an, die ersten Früchte zu tragen. Lass noch einmal zehn Jahre vergehen, dann sind auch die anderen Männeranliegen in der Politik angekommen.

Hoffen wir das Beste.

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