Freitag, August 24, 2012

Leserpost: Wikipedia-Irrsinn geht weit über Geschlechterdebatte hinaus

Mein Leser A.K. schreibt mir zu den Kapriolen in der bekannten Online-Enzyklopädie:

Verfolge Euer Engagement gegen Wikipedia, d'accord bei den Argumenten; habe neben diesem Thema in letzter Zeit aber auch verschiedentlich Artikel aus dem Bereich gesichtet, mit dem ich mich eher auskenne, und was soll ich sagen - es ist exakt das gleiche! Wissenschaftliche Kritik am Artikel mit den entsprechenden Quellenverweisen werden unmittelbar von einem dazu Berechtigten mit Sperrung sanktioniert. Wenn wir hundert Männer von uns nähmen und jeder sich Artikel zu etwas anschaut, was seinen eigentlichen Fachbereich angeht, dürfte es ähnliche Ergebnisse geben.

Ich denke, das Problem ist WP-immanent; eine nicht-ideologische Wikipedia müsste vom Reißbrett an neu aufgebaut werden. - Was selbstverständlich kein Argument für Hinnahme von Verleumdungen sein kann. Als ich mal einem Link gefolgt bin, sah ich, dass Fiona Baine Dir sogar absprechen will, dass Du "erotische Stories" schreibst, weil es keine Sekundärliteratur oder so gäbe, die sie als solche bezeichnet habe, und Deinen Verlag anzweifelt oder so ... Ich weiß, aus Deiner Position sieht es anders aus; ich musste einfach nur noch lachen, so gehirnamputiert war es!


"Fiona Baine" will mir sogar absprechen, dass ich "politische Artikel" schreibe, weil es keine Sekundärquelle gebe, die sie so bezeichnet habe ... Diesen Unfug darf man aber keineswegs als solche zur Sprache bringen, sonst ist das "Hetze" und erfordert die Einrichtung eines Antidiskriminierungsrates, um Frauen in der Wikipedia zu schützen ...

Dass es in der Wikipedia tatsächlich auch bei ganz anderen Themen so abläuft als beim Bashing der Männerbewegung, veranschaulicht etwa ein hübscher Beitrag auf der Diskussionsseite zum Wikipedia-Eintrag über Akupunktur. Dort kritisiert ein Mediziner mit dem Hinweis auf entsprechende Fachliteratur, dass kritische Beiträge zu verschiedenen Akupunktur-Studien aus der Wikipedia gelöscht wurden, und merkt danach zur Situation in der Online-Enzyklopädie an:

Seit 2006 trage ich zur deutschen Wikipedia bei, indem ich medizinische Artikel redigiere oder um wissenschaftliche Quellen ergänze. Bisher habe ich etwa 800 edits durchgeführt. Im Zuge dieser Arbeiten fiel mir auf, daß es mit Wikipedia einige Probleme gibt, die auch durch wiederholtes Ansprechen auf den Diskussionsseiten nicht zu beheben waren. Vielmehr wird an einigen, wie ich meine, falschen Grundsätzen aus Prinzip festgehalten: Grundsätzlich kann jeder Änderungen an Einträgen vornehmen oder um neuen Text ergänzen. Das finde ich gut. Problematisch daran ist aber, daß das auch anonym geschehen kann. Zwar melden sich viele user bei Wikipedia an, doch meist geschieht dies unter einem Pseudonym. Niemand weiss, ob es stimmt, was diese user auf ihrer Benutzerseite über sich schreiben, keiner kann es nachprüfen, denn niemand muss bei seiner Anmeldung nachprüfbare Angaben machen. Keine ernst zu nehmende wissenschaftliche Zeitschrift würde Beiträge von Unbekannten annehmen. Autoren müssen namentlich und mit Adresse bekannt sein. Überdies wird regelmäßig von seriösen Medien eine Eigenerklärung von Autoren verlangt, ob Interessenkonflikte bestehen. Dies fällt bei Wikipedia selbst bei jenen Autoren regelmäßig weg, die namentlich bekannt sind. Denn das gibt es auch: user, die sich mit Klarnamen und Adresse anmelden. Das ist zwar nicht immer zuverlässig überprüfbar (Postident wäre z.B. zuverlässiger), aber schon ein großer Fortschritt. Was aber dann auch fast immer fehlt ist eben eine Interessenkonflikterklärung. Im Schutz der Anonymität wird auch deshalb von regelmäßigen Wikipedia-Usern, die sich in der "Medizin-Redaktion" zusammengeschlossen haben, oft willkürlich redigiert, gelöscht und geändert. Seit einiger Zeit werden Änderungen so lange zurück gehalten, bis sie von Prüfern gesichtet und freigegeben worden sind. Da dies aber auch regelmäßig anonyme user sind, wird die Sache dadurch nicht besser. Überdies geben dieselben anonymen user sich oft gegenseitig ihre Beiträge und Änderungen frei. Deshalb ist Wikipedia mit Vorsicht zu genießen, wenn um Beiträge oder Änderungen Anonymer geht. Unter anderem diese Probleme haben dazu geführt, daß in den USA nun Medpedia in Gründung ist (www.medpedia.com), zu der eine namentliche und genehmigte Anmeldung nötig ist, wenn man aktiv mitarbeiten will. Autoren müssen zudem akademische Qualifikationen nachweisen und Interessenkonflikte offenbaren. So sollte auch der medizinische Teil der deutschen Wikipedia aufgezogen werden.


Wie, Kritik an der Wikipedia? Die Reaktion erfolgt prompt und erwartungsgemäß:

Wieder ganz schön viele Geisterfahrer unterwegs, nicht wahr? Für Deine Ausfälle gabs jetzt eine Vandalismusmeldung.


Zu solcherlei Gebahren von Wikipedianern äußerte sich vor einiger Zeit schon der Medienanwalt Markus Kompa. Er kann von eigenen Erfahrungen berichten:

Bei Recherchen entdeckte ich Ende 2007 zufällig einen Artikel zu einem polithistorischen Thema, der sich definitiv in einem – sagen wir mal ganz diplomatisch – "unqualifizierten Zustand" befand. (...) Der Artikel wurde von einem Benutzer verteidigt, den ich damals für einen gleichberechtigten Benutzer hielt. Und dem Benutzer wurden Admins gefällig, die ich für normale Admins hielt. Ich saß ahnungslos in der Falle.

In Wirklichkeit hatten sich meine Gegner konspirativ verschworen: Durch die Bank weg handelte es sich um Herrschaften des Hamburger Wikipedia-Stammtisches, die ein Kartell bildeten. Ebenso wenig wie Franz Kafka hatte ich von Anfang an auch nur die allergeringste Chance, mit Sachargumenten durchzudringen. Doch dies alles war mir damals unbekannt gewesen.

Die geringste Schärfe im Ton konnte als angeblicher "persönlicher Angriff" gewertet werden, etwa die das Absprechen jeglicher Kompetenz auf einem bestimmten Gebiet, was allerdings nachweislich der Fall gewesen war. Umgekehrt durfte man sich mir und meinen Mitstreitern jede Demütigung herausnehmen und die Regeln wissenschaftlicher Arbeitsweise sowie die Wikipedia-Regeln nach Belieben ignorieren. Mein Gegner und seine Schergen waren sakrosankt. Wie gesagt, die Zusammenhänge hinter den Kulissen und der Admin-Corpsgeist waren mir unbekannt, auch wenn mir schon damals einige überflüssig abschätzige Kommentare von Admins merkwürdig temperamentvoll vorkamen.


Ich kann hier unmöglich die gesamte Story zitieren – hier geht sie weiter. Aber schon bei den bis hierher zitierten Absätzen drängen sich Verleiche zu dem Vorgang von Leuten wie Fiona Baine, Andreas Kemper und ihrem Klüngel massiv auf.

Bleibt die Frage: Verderben die Strukturen der Wikipedia den Charakter, bis manche sich nur nach auf die beschriebene Weise verhalten können, oder locken die Strukturen der Wikipedia autoritäre und rechthaberische Charaktere an, die unfähig zu konstruktiven Diskussionen sind und stattdessen gerne mit zweierlei Maß messen, wenn es ihnen passt? Welcher Erklärung man auch zuneigen wird: Dass die Wikipedia gerade für die feministische Clique so reizvoll ist, wird so bestens erklärt.

Immer klarer wird auch, dass schon die frühen Wikipedia-Kritiker recht hatten: Von innen heraus ist die Wikipedia offenbar nicht mehr zu reformieren. Auf Kritik von außen reagieren Wikipedianer aber, indem sie eine Wagenburg bilden, und den Kritikern das Recht absprechen wollen, diese Kritik zu äußern. (O-Ton der Wikipedianerin Sengerin in den Wiki-News: "Lasst uns geschlossen die Aggressor_innen abwehren, die von außen das Gleichgewicht in der Wikipedia stören wollen. Sollen sie verdiente Autor_innen werden, dann können sie hier mitreden. Aber so nicht." Der einzige, der die Wikipedia kritisieren darf, wäre demnach also jemand, der dort ein "verdienter Autor" ist ...) Als einzige Alternative bleibt inzwischen, die Wikipedia immer weiter bloßzustellen – bis auch der Dümmste merkt, dass dort das Verständnis von "Wissenschaft" und "Diskussionskultur" dem im feministischen Bereich auf peinliche Weise ähnelt.

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