Sonntag, März 11, 2012

Warum ich wieder blogge

Philip Zimbardo ist einer der international wohl bekanntesten Sozialpsychologen. Ein Großteil seines Ruhms beruht auf dem Standford-Prison-Experiment, mit dem Zimbardo dazu beitrug zu entschlüsseln, wie aus ganz normalen Studenten binnen kürzester Zeit sadistische Gefängniswärter werden konnten. Die Frage nach der Herkunft sozial schädlichen Verhaltens hat Zimbardo auch später nicht losgelassen. So heißt es auf den Seiten 9 bis 10 seines 2008 veröffentlichten Buchs Der Luzifer-Effekt: Die Macht der Umstände und die Psychologie des Bösen:

Was ist notwendig, damit die Bürger einer Gesellschaft die Bürger einer anderen Gesellschaft so sehr hassen, dass sie sie aussondern, quälen, gar töten wollen? Eine 'hasserfüllte Illusion' - ein psychologisches Konstrukt, das tief in ihrer Vorstellungswelt verankert ist, und zwar durch Propaganda, die jene anderen in 'den Feind' verwandelt. Diese Einbildung ist das stärkste Motiv des Soldaten, sie lädt sein Gewehr mit der Munition des Hasses und der Angst. (...) Der Prozess beginnt mit der Erzeugung stereotyper Vorstellungen und entmenschlichter Wahrnehmung des anderen als wertlos, als allmächtig, als fundamentale Bedrohung geschätzter Überzeugungen und Wertvorstellungen. Wenn die öffentliche Angst geschürt ist und die Bedrohung durch den Feind imminent erscheint, werden vernünftige Menschen irrational, unabhängige Menschen zu blinden Konformisten und friedliebende Menschen zu Kriegern. Dramatische Bilder des Feindes auf Plakaten, im Fernsehen, auf Zeitschriftentiteln, in Kinofilmen und im Internet nisten sich in den Nischen des limbschen Systems, diesem archaischen Teil des Gehirns, ein und erzeugen dort übermächtige Gefühle der Angst und des Hasses.


In meinen Büchern "Sind Frauen bessere Menschen?" und "Männerbeben" habe ich eingehend analysiert wie durch die Propaganda eines radikalen Feminismus exakt das von Zimbardo beschriebene Prinzip gegen Männer zum Einsatz kam. Wenn etwa Alice Schwarzer Statements verkündete wie "Was wäre eine Freiheitsbewegung ohne Hass?" und "Unser Feind ist meist nicht, wie im großen Krieg, der klar bestimmbare Fremde, sondern häufiger der eigene Mann: der Vater, Bruder, Geliebte, Sohn" und derartige Sätze nur zwei winzige Steinchen in einem Gebirge ähnlich klingenden Männerhasses sind, dann wird damit jener Prozess angestoßen, den Zimbardo beschreibt. Die Folgen, die dieser Prozess nicht nur für Männer, sondern für den Geschlechterfrieden insgesamt hat, werden für immer mehr Menschen unverkennbar.

Umso bedauerlicher ist es, dass Teile der Männerrechtsbewegung, die eigentlich dafür angetreten war, diese Hass zu überwinden, dazu übergegangen sind, dieselbe Hasspropaganda zu verbreiten. Da wird auf maskulistischen Websites inzwischen auf NPD-nahe Blogs wie "Politically Incorrect" und vergleichbare Seiten verlinkt, der Leiter eines der bekanntesten Männerrechtlerforen verlinkt auf Neonazi-Websites wie Altermedia (deren Betreiber inzwischen zu mehreren Jahren Haft verurteilt wurden), und in diesem Forum selbst ist Stimmungsmache gegen "Fotzen", "Homos" und "Musels" an der Tagesordnung. Denjenigen, die so auftreten, sollte eigentlich klar sein, dass sie damit der Männerbewegung weit mehr schaden, als sie zu unterstützen, aber ihre radikal rechte Gesinnung kundzutun scheint ihnen bei weitem wichtiger zu sein.

Gegen all das habe ich mich in den vergangenen Jahren immer wieder Einspruch eingelegt. Endgültig das Ende der Fahnenstange war für mich erreicht, als sich im Sommer letzten Jahres der Verfasser eines "kritischen Wissenschaftsblogs" engagiert dagegen aussprach, Rechtsradikalen die rote Karte zu zeigen, wobei von ihm und anderen ernsthaft argumentiert wurde, es sei in der Medienwissenschaft Konsens, dass Medien ohnehin keine Wirkung erzeugten, rechtsradikale Propaganda insofern komplett unbedenklich sei und man beispielsweise auch den "Stürmer" unbesorgt veröffentlichen könnte.

Ich werde nicht näher darauf eingehen, wie absurd es ist, wenn Nicht-Medienwissenschaftler einem studierten Medienwissenschaftler weismachen wollen, was angeblich Konsens in der Medienwissenschaft wäre. Wobei als vermeintlicher Beleg eine 47 Jahre alte Quelle genutzt wird, in der lediglich behauptet wird, es sei nicht nachweisbar, ob und welcher Effekt entstehe, was etwas komplett anderes ist als der behauptete Nachweis, es gebe keinen solchen Effekt. Oder dass dieselben Leute, die überzeugt davon sind, dass Medien keine Wirkung haben, ihr eigenes Medium engagiert weiterbetreiben, um zu einem Stimmungsumschwung beizutragen. Ich werde auch nicht weiter darauf eingehen, dass, wäre in den Medienwissenschaften tatsächlich Konsens, dass Medien nachweisbar keinerlei Wirkung erzeugen, es Fächer wie Medienethik ebensowenig gäbe, wie Studien, in denen untersucht wird, welchen Einfluss die Mediendarstellung auf eine bestimmte Debatte hat. Es gäbe keine Einrichtungen wie das Erlanger Institut für Medienverantwortung und lange Anleitungen zur Vermeidung des zu zahllosen Todesfällen führenden Werther-Effekts. Über die aufgestellte Behauptung auch nur eine ernsthafte Diskussion führen zu wollen ist grotesk. Es ist mir schleierhaft, warum derartige Gaga-Debatten die ansonsten kundige, analytische und zitierfähige Sacharbeit nicht nur dieses Blogs, sondern auch der Männerrechtsbewegung insgesamt, immer wieder selbst torpedieren und unseriöser erscheinen lassen müssen, als sie es nötig hätte – und alles nur, um die Umtriebe von Rechtsradikalen zu verharmlosen.

Nun hat das Einstellen meines Bloggens im letzten August weitere Kreis gezogen, als ich je vermutet hätte (der AGENS-Vorsitzende Eckhard Kuhla wurde gar von einem Journalisten einer Stuttgarter Zeitung darauf angesprochen), und ich erhielt von meinen Lesern ein enormes Feedback. Darunter gab es im großen und ganzen zwei Grundaussagen. Die erste lautete "Ich kann absolut verstehen, dass du es in diesem Affentheater nicht mehr aushältst", die andere "Wenn du dich auch noch zurückziehst, entwickelt sich die Situation nicht gerade zum Besseren". Insbesondere zeigte sich, dass sehr viele Männerrechtler mit dem sporadischen Ausbrechen von Teilen ihrer Bewegung nach rechtsaußen genauso große Probleme haben wie ich.

Man muss sich hier eines klarmachen: Dass ich mich speziell um die Anliegen von Männern kümmere, liegt weniger daran, dass ich selbst zufällig männlich bin, als daran, dass diese zu dem Zeitpunkt, als ich meine ersten Bücher veröffentlichte, eben jene Gruppe waren, die in der oben von Philip Zimbardo beschriebenen Weise am massivsten zum Feindbild erklärt wurden. In meinem 2001 erschienenen Buch "Sind Frauen bessere Menschen?" schreibe ich dazu:

Auf all das und viel mehr wird man ebenso verständnislos zurückblicken wie wir heute auf Zeiten zurücksehen, in denen Schwarze und Juden mit den absonderlichsten Argumentationen zu minderwertigen Menschen erklärt wurden. Gut möglich, dass man vor lauter Kopfschütteln nicht erkennt, dass man inzwischen eine andere Menschengruppe zum neuen Feindbild erklärt hat - vielleicht die Jugendlichen in einer völlig überalterten Gesellschaft, vielleicht nach einem echten Backlash doch wieder die an der Emanzipation gescheiterten Frauen, vielleicht die letzten Verteidiger des Sozialstaats, vielleicht die Eskimos.


Stattdessen traf es vier Jahre später die Muslime. Ich kritisierte Diffamierungen gegen diese Gruppe ebenso wie Diffamierungen gegen Männer und einzelne Leute aus der Forenszene schnaubten vor Wut.

Damit ist die Situation umrissen, vor der wir inzwischen stehen: Es besteht einerseits die moralisch dringende Notwendigkeit nach einer politischen Bürgerbewegung, die auch für die Rechte der Männer eintritt. Andererseits finden aus dieser Bewegung selbst – ähnlich wie aus der Frauenbewegung – immer wieder Ausbrüche statt, die ethisch inakzeptabel sind. In der Regel erfolgen diese Ausbrüche im Zusammenhang mit einer stramm rechten Weltanschauung.

Sowohl auf feministischer wie auf maskulistischer Seite überschlagen sich diverse Protagonisten in ihrer Hemmungslosigkeit. Menschen, die die Hetze gegen Männer UND die Hetze gegen Ausländer unsäglich finden, bleiben kopfschüttelnd zurück. Während aus dem feministischen Lager zahllose Menschen abwanderten, weil sie dessen Radikaliät abstoßend fanden, werden von der spiegelbildlichen Radikalität diejenigen Menschen abgeschreckt, die von der Männerrechtsbewegung als erstes die Forenszene wahrnehmen. Sie wandern unserer Bewegung gar nicht erst hinzu. Es gibt viele Wege, über die AGENS und MANNdat Aktivisten rekrutieren – erst gestern mailte mich ein junger Akademiker an, der nach der Lektüre von "Männerbeben" ein neues Mitglied von MANNdat geworden ist -, aber ich kenne in den letzten sieben, acht Jahren keinen einzigen Fall, bei dem ein Aktivist durch ein Forum wie "Wieviel Gleichberechtigung verträgt das Land?" gewonnen worden wäre.

Ein Grundproblem bei diesem Dilema: Während die rechte, radikale, auf Konflikt und Krawall statt Dialog und Konsens setzende Fraktion der Männerrechtsbewegung im Internet stark vertreten ist, hält sich der linke Flügel der Männerbewegung bislang dezent im Hintergrund. Wir linken Männerrechtler haben uns in den vergangenen Monaten zwar zunehmend miteinander vernetzt; das hat aber bislang abseits des Internets stattgefunden. Hier scheint mir auch in der Außendarstellung ein stärkeres Gleichgewicht notwendig, und Genderama wird zu diesem Gleichgewicht beitragen.

In Internetforen und –blogs der Männerbewegung wird gegen linke Männerrechtler schon seit langem ordentlich Stimmung gemacht. Das geht vom unaufhörlichen Kläffen der immer selben Parolen ("Linke sind die Pest"), die durch ständiges Wiederholen auch nicht geistreicher werden, bis zu Blogeinträgen wie aktuell "Wer braucht linke Männerrechtler?", wo es heißt: "Meine Erfahrung mit linken Männerrechtlern – Hoffmann ausgenommen – ist, dass sie den Kampf um die Gerechtigkeit für Jungen und Männer lieber den konservativen Männerrechtlern überlassen. Da wird dann häufig in Elfenbeintürmern über Unrecht lamentiert und nebenher noch fleißig gegen konservative Kollegen gefeuert. Halbherzig wird für Jungen- und Männerrechte eingetreten."

Ein derart weltfremder Eindruck kann eigentlich nur entstehen, wenn man selbst nie in Gruppen wie z. B. AGENS mitgearbeitet hat, wo die geschätzte Hälfte aller Mitglieder politisch links stehen, wenn man von den Linken bei MANNdat keine Ahnung hat und wenn man es generell als Zeichen höchster Aktivität betrachtet, die Blogs und Foren der eigenen Gemeinde vollzuschreiben, womit man NICHTS erreicht, außer das eigene Ego durch den erwartbaren Beifall zu stärken.

Vor diesem Hintergrund, wo unsinniger Aktionismus mit zielgerichtetem Aktivismus verwechselt wird, scheint es höchste Zeit, einmal jene linken Männerrechtler sprechen zu lassen, die es nach dieser Lesart überhaupt nicht geben dürfte. Deshalb werden hier in den nächsten Wochen Interviews mit politisch links stehenden Männerrechtlern erscheinen (ergänzt um Gespräche mit Männerrechtlern, die, wenn sie sich schon nicht explizit links positionieren, so doch zumindest ein starkes Gegengewicht zu einer Radikalisierung von Teilen der Bewegung darstellen). Zwei Dinge fallen dabei auf. Erstens: Anders als die rechten, schleppen linke Männerrechtler in der Regel nicht noch zahllose Nebenthemen wie die "Klimalüge" und die "Durchrassung Deutschlands" in die Debatte ein. Zweitens: Mehrere reizvolle Gesprächspartner sagten für Interviews ab, weil sie statt mit dem Verkünden ihrer politischen Ansichten damit beschäftigt sind, konkrete Hilfe zu leisten, etwa um einem ausgegrenzten Vater wieder Kontakt zu seinen Kindern zu ermöglichen.

Von mir selbst werden einige schon vorbereitete Artikel online gehen, beispielsweise Plädoyers gegen radikal rechtes, fremdenfeindliches und faschistoides Argumentieren in der Geschlechterdebatte, gegen Homophobie und gegen andere unschöne Entwicklungen. Ich werde die der Männerbewegung gemachten Vorwürfe der "hate speech" näher betrachten. Und ich werde erklären, warum eine gewisse meines Erachtens zu Unrecht heftig angegriffene Studie der Heinrich-Böll-Stiftung, die ebenfalls gegen Rassismus in der Geschlechterdebatte plädiert, so schlecht nun wirklich nicht ist, sondern sehr lesenswert und Erkenntnisse enthält, denen man nur zustimmen kann.

All diese Beiträge werden in den nächsten Tagen relativ zügig online erscheinen. Danach findet die Veröffentlichung weiterer Beiträge unregelmäßig und deutlich langsamer getaktet als früher statt, ein wenig so wie Michail Savvakis Website "Der Maskulist". Die Zeiten von Genderama als mehrmals täglich aktualisiertem Newsblog sind endgültig Geschichte. Trotzdem freue ich mich über diesen Neubeginn, und ich bin mir sicher, vielen von euch geht es ähnlich.

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