Donnerstag, April 26, 2018

Medien bringen Maskulisten mit Amokfahrt in Verbindung

Nachdem gestern durch die Medien ging, dass zu den Motiven des Amokfahrers von Toronto angeblich Frauenhass gehört, habe ich relativ viele besorgte Zuschriften wie diese erhalten:

Ich habe Angst, dass nun alle männlichen Kritiker von Feminismus und Co., alle Supporter des männlichen Geschlechts nun in die Ecke des Frauen hassenden verrückten potentiellen Mörders gebracht werden.

Das macht mir Angst!


Ich für meinen Teil habe fest damit gerechnet, dass unser Qualitätsjournalismus sich diese Gelegenheit genausowenig entgehen lassen wird wie manche AfD-Politiker, wenn eine Amokfahrt einen muslimischen Hintergrund haben könnte. Bei der Amokfahrt in Münster hatten wir ja gerade erlebt, dass ein Mann, bei dem nichts auf einen solchen Hintergrund hinwies, sofort in die islamistische Ecke phantasiert wurde, um das Verbrechen politisch auszuschlachten. Ähnliches erleben wir jetzt bei dem Amokfahrer von Toronto, zu dem Angela Gruber auf Spiegel-Online Auslassungen wie diese einfallen:

Stimmen die Informationen zur Motivation des Verdächtigen von Toronto, wäre der Vorfall nur ein weiteres Beispiel dafür, wie sich die hasserfüllten Kulturkämpfe aus dem Internet mittlerweile auch offline Bahn brechen. (...) Während sich Feminismus und die Gleichberechtigung der Frau im gesellschaftlichen Mainstream als wichtige Themen durchsetzen, Beispiel #MeToo, sammelte sich im Netz eine Gegenbewegung: Sogenannte Maskulisten schießen vehement gegen die wahrgenommene Unterdrückung des Mannes. Pick-up-Artists - professionelle Aufreißer - leitet Männer dazu an, Frauen als Freiwild zu betrachten.


Für manche unserer Journalisten ist es vom männerpolitischen Aktivisten und vom Flirtcoach zum Massenmörder nur ein winziger Schritt. Und wer sich einseitig für Frauen engagiert, setzt in dieser Rhetorik "wichtige Themen" durch, während Menschen, die eine ganzheitliche Politik für beide Geschlechter fordern, "vehement schießen". Die Kommentarspalte unter dem Beitrag ist wohlweislich deaktiviert.

Auch beim Freitag wird selbstverständlich sofort gefragt: Handelt es sich um maskulinistischen Terror? Kann man ja wenigstens fragen. Vor allem damit einem nicht ganz so schwer im Magen liegt, dass Maskulisten lediglich im Internet schreiben, während Feministinnen tatsächlich terroristisch unterwegs waren.

Die Autorin des "Freitag"-Artikels, Elsa Koester, stellt mehr als ein halbes Dutzend weitere Fragen, auf die sie keine Antwort hat. ("Schaffen es Maskulinisten, psychisch labile Männer mit einer Umwandlung ihres Ohnmachtsgefühls in Hass auf Frauen abzuholen und auf diese Weise soziale Probleme von Männern in politischen Sexismus zu kanalisieren?") Statt Antworten gibt es allerdings nur noch mehr Fragen, die auf den bisherigen Phantasien aufbauen: "Die Gesellschaft müsste sich dann die Frage stellen, wie sie diesen gefährlichen Sexismus und Maskulinismus in den Griff bekommt." Hat sich das "die Gesellschaft" nach dem ganz realen feministischen Terror eigentlich auch gefragt? Valerie Solanas "Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer" mit seinen Vergasungsphantasien hat kein maskulistisches Gegenstück, das noch dazu als wertvolles Kulturgut behandelt wird.

Nun hat der "Freitag" im Gegensatz zu Spiegel-Online den Fehler begangen, seine Kommentarspalte nicht abzuschalten, was zu recht deutlicher Kritik der Leser führt. Einmal mehr sind manche Kommentare zigfach sachlicher und duchdachter als der aufhetzende Artikel. Einige Beispiele:

Nichtsdestotrotz bleibt a) die Tatsache, dass der Täter (ziemlich unterschiedslos) Frauen und Männer getötet hat, b) eine Amokmethode wählte, bei der eine geschlechterspezifische "Ausdifferenzierung" ziemlich unmöglich war, c) das Resummée, dass zumindest aus der Tat heraus ein spezifisches Hassverbrechen gegen Frauen, so wie Frau Koester meint, nicht zu erkennen ist.

Wie gesagt, zweifele ich nicht an der im Artikel aufgerissenen Motivlage. Umso ärgerlicher allerdings ist der (feministische?) Tunnelblick, der dieses Verbrechen fein säuberlich sezieren möchte von ähnlichen, bei denen die exklusive Opfergruppe Frauen nicht so ausgemacht erscheint. So werden ideologisch kaum (noch) haltbare Begriffstrennungen in die Argumentschale geworfen (wie die zwischen "Terror" und "Amok"), nicht zur eilig gestrickten Theorie passende Hassverbrechen (wie zuletzt in Münster, Parkland oder auch auf dem Harvest Music Festival in Las Vegas) fast zur Gänze ausgeblendet und ansonsten lustig Tätermotiv-Domino gespielt. Liest sich im Ergebnis so, als hätte die Tat die Autorin nicht sonderlich gejuckt – wäre nicht zufällig ein maskulinistischer Background ins Visier geraten.

Nicht hilfreich beziehungsweise politisch schädlich ist die getroffene Fokussierung auf das Motiv Maskulinismus speziell vor dem Hintergrund, dass Beliebtheit der Amokwaffe Automobil – als Ergänzung zu den "Klassikern" Schusswaffe(n) und Sprengstoff – in den letzten zwei, drei Jahren rapide angestiegen ist. Bei den einen Tätergruppen akribisch nachforschen und bei den anderen kühl mit der Schulter zucken ist sicherlich KEINE Herangehensweise, die bei der Ergründung dieses Phänomens weiterbringt.


Wie kann man das Problem lösen? Indem man die Ursache bekämpft! Sie rufen aber danach, dass man den Maskulismus in den Griff bekommt. Das betrachte ich mit einem gewissen Unbehagen, denn wer bestimmt was Maskulismus ist? Vor kurzem wurde mir dieses Etikett angehängt, weil ich bestimmte Auswüchse des Feminismus kritisierte. Wenn jetzt Inceler zum Anlass genommen werden, um gegen Maskulinsisten (also Männer, die sich für Rechte von Männern in Bereichen, wo diese benachteiligt sind) vorzugehen, dann bewegen wir uns einen Schritt weiter in Richtung autoritären Feminismus.

Zur Frage der Problemlösung: Wie ich sagte sind Inceler geisteskrank also psychisch schwer gestörte Männer. Und als solche muss man sie verstehen, wenn man das Phänomen begreifen will. D.h. man sollte ihnen nicht das zugestehen, was Sie ihnen zugestehen, wie z.B. eine politische Agenda. Um das Problem zu verstehen, müssen alle sich mit Incels näher beschäftigen und nach den Ursachen ihrer Probleme fragen. Eine Ursache ist meiner Meinung nach, dass die männliche Sexualität heutzutage einer starken Verdrängung unterliegt und das schon seit einigen Jahrzehnten. Impotenz und Sexshyness sind unter jungen Männern sich immer mehr verbreitende Probleme. Gleichzeitig haben wir eine Gesellschaft, die sexuelle Liberalität offensiv vertritt und fordert. Das ist die perfekte Konstellation, um Aggression zu säen (langanhaltende Triebfrustration führt zu Aggressivität). Dagegen muss man vorgehen. Ein erster Schritt wäre vielleicht, dass man Jungen von klein auf ein positives Männlichkeitsbild vermittelt.


Da dieser Text gleich oben auf der Seite steht und ins Auge fällt, wenn "Der Freitag" aufgerufen wird, macht deutlich, dass die Zeitung den Wettlauf mit der "Bild" um das tiefste Niveau, welches man seinen Lesern zumuten will, durchaus gewinnen kann.


Die These von Elsa Koester hat etwas Beatrix-von-Storch'sches, auch wenn das beide Frauen ungern lesen oder hören würden.


Dieselbe Assoziationskette - von einer Argumentationskette kann man ja nur schwerlich sprechen - hatten wir doch schon bei Anders Breivik: Wie schön wär‘s doch, wenn man sämtliche Männeranliegen einfach unter Terrorismus abbuchen könnte ...


Ein im FOCUS veröffentlichter Artikel ist ebenfalls von fragwürdiger Qualität. Dort heißt es zu dem Massenmörder Elliot Rodger, den sich der Amokfahrer von Toronto zum Vorbild genommen haben soll:

Ermittlern zufolge hatte Rodger seine Tat damals ausgeführt, weil er Anhänger einer Männeraktivisten-Bewegung gewesen sei und keinen Erfolg bei Frauen hatte. (...) "Eine der Hauptursachen für ausgeprägten Frauenhass liegt darin, dass Männer in unserer Gesellschaft Druck verspüren, ihre Männlichkeit beweisen zu müssen", sagt [Professor Rolf] Pohl. Männlichkeit definiere sich häufig immer noch über Beziehungen und das Erobern einer Frau. "Erfahren Männer dabei sexuelle Zurückweisung und wiederholt sich dies oft, kann das eine Ursache für Frauenhass sein", so der Experte. (...) Im Netz organisieren sich inzwischen immer mehr Frauenhasser, beobachtet Sozialpsychologe Pohl: "Es gibt verschiedene Szenen mit frauenfeindlichen Einstellungen, die gut miteinander vernetzt und oft rechtsextrem angehaucht sind." Die Pick-up-Szene, in der es darum geht, Frauen möglichst leicht "flachzulegen", sei ein solches Beispiel für antifeministische Einstellungen. "Es gibt eine starke männerrechtliche Bewegung, die mit ihrem Frauenhass auch Züge von Gewaltbereitschaft zeigt", sagt Pohl. Man müsse diese als Antwort auf aktuelle Feminismus-Debatten sehen. Manche Männerrechtsbewegungen seien vergleichbar mit Szenen wie die der Reichsbürger. Der Experte warnt: "Es gibt ein Gefährdungspotenzial." (...) Im Alltag können sich erste Anzeichen von Frauenhass bereits dann zeigen, wenn Männer Frauen unerlaubt anfassen oder sexistische Sprüche verbreiten. Alltagssexismus ist laut dem Psychologen eine Vorstufe, der in Frauenhass münden kann.


Jetzt ist also schon "Frauen unerlaubt anfassen" die Vorstufe zum Amoklauf. Wenn jemand sich derart versteigt, wundert es einen nicht, dass er bei Männerrechtlern von "Gefährdungspotenzial" raunt – hübsch vage und ohne irgendwelche Belege oder auch nur Konkretisierungen, wer genau mit diesen doch recht happigen Unterstellungen gemeint ist. Freundlich formuliert: Das macht eine Überprüfung dieser Behauptungen nicht gerade einfach. Von diesem "Gefährdungspotential" wird seit sieben Jahren schwadroniert, an Gewalthandlungen passiert ist aus der maskulistischen im Gegensatz zur feministischen Ecke: gar nichts. Der entscheidende Punkt aber, den der "Experte" nicht wahrnehmen möchte, ist, dass Elliot Rodger weder Männeraktivist noch Unterstützer der Pickup-Bewegung war, sondern dass er sich auf der Gegenseite herumtrieb: einer Community von Pick-Up-Hassern. (Und mal im Ernst: Einsame Männer, die nach langen Jahren der Suche keine Frau finden, die ihre Liebe erwidert, verzweifeln nur, weil sie ihre Männlichkeit nicht beweisen können? Nach solchen Kloppern weiß man eigentlich schon, was von diesem "Experten" zu halten ist. Ein Großmeister in Empathie ist er sicherlich nicht.)

Der Schweizer Tages-Anzeiger titelt "Wie Männerbewegungen sich im Internet zu terroristischen Anschlägen radikalisieren". In dem Artikel von Michèle Binswager heißt es:

Es stellt sich die Frage, ob man noch von einem zufälligen Phänomen sprechen kann. Gerade eben ist in Neuenburg ein Mann mit einer Axt auf Frauen losgegangen und im September 2016 zündete ein Mann in der St.Galler S-Bahn Frauen an und stach auf sie ein. Wie bei vielen Amokläufern dürften auch hier psychische Probleme den Anstoss gegeben haben: pathologischer Narzissmus, unverdaute Kränkungen, fehlende Frustrationstoleranz. Doch analog zum islamistischen Terror hat auch der Hass auf Frauen ein Fundament. (...) Der britische Journalist Arshy Mann hat über diese Incels recherchiert und Folgendes herausgefunden: Incels sind Teil einer breiter organisierten virtuellen "Männersphäre", unter der sich Online-Maskulinisten mit jeweils verschiedenen Interessen und mehr oder weniger stark ausgeprägtem Frauenhass sammeln: Antifeministen, Aufriss-Artisten, Männerrechtsaktivisten. Anders als zum Beispiel Letztere argumentieren die Incels aber nicht mit Menschenrechten oder sonst rationalen Argumenten.


Aber warum werden dann Menschenrechtler, die mit rationalen Argumenten arbeiten, überhaupt rhetorisch mit einem aus der Psychiatrie entflohenen potentiellen Axtmörder zusammengerührt? Noch dicker wird diese Soße in einem bei Woman veröffentlichten Artikel:

Aktuell wird der Begriff vor allem in der der sogenannten "Manosphere" verwendet – ein Sammelbegriff für antifeministische Zusammenschlüsse von Männern im Internet: Von sogenannte "Pick-up-Artists", über Väterrechte-Aktivisten, männlichen Missbrauchsopfern bis hin zu Verstrickungen mit der rassistischen Alt-Right-Bewegung reicht der gedankliche Bogen in der "Manosphere", die sich häufig auf Reddit tummelt.


Gut, ihr männlichen Missbrauchsopfer solltet euch jetzt aber wirklich schämen, dass ihr mit eurer Leidensgeschichte zu Frauenhass und damit letztlich zu Axtmördern beitragt. Ich hoffe, ihr macht es im nächsten Leben besser.

Wenn man mal von dem Versuch absieht, sämtliche Widerworte zum Feminismus zu dämonisieren, eint all diese Artikel ein allzu bekanntes Grundmuster. Vor dreißig Jahren stellten Fantasy-Rollenspiele angeblich eine große Bedrohung dar, danach hatten PC-Spiele zahlreicher "Experten" und "Sozialpsychologen" zufolge ein "Gefährdungspotenzial" und jetzt sind es Pick-up-Artists und Maskulisten, die als Wegbereiter von Gewalttaten dargestellt werden. Die jeweiligen Gemeinsamkeiten sind offenkundig: Es handelt sich jedesmal um neue Phänomene, es handelt sich um Dinge, mit denen sich weit überwiegend junge Männer beschäftigen, und es handelt sich um Szenen, zu denen die berichtenden Journalisten keinen Zugang haben, weshalb sie von aufsehenerregenden Extremfällen ausgehend wild extrapolieren. Oft dauert es einige Jahrzehnte bis sich herausstellt, dass die so alarmistisch dargestellten Erscheinungen in Wahrheit vollkommen harmlos sind: viel Zeit, in der Publizisten mit wenig Ahnung von der Sache zur Jagd auf Sündenböcke gehen können.





Das Thema wird heute auch bei Christian Schmidt diskutiert.

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