Freitag, August 18, 2017

Darum lassen manche Leitmedien keine Leserkommentare mehr zu

Die Reaktionen auf einen aktuellen Beitrag Birgit Gärtners auf Telepolis machen anschaulich, warum manche Leitmedien ihre Leserkommentare entweder ganz abgeschafft haben oder sie unter bestimmten Artikeln nicht mehr zulassen.

Gärtner gehört zu denjenigen Journalisten, die den gefeuerten Google-Mitarbeiter Damore noch immer für einen üblen Frauenfeind und damit für typisch halten, was eine Frauen unterdrückende Gesellschaft angeht. Schon im Titel des Beitrags wird Damore vorgeworfen, dass er "von vorgestern" ist. So enthalte sein Text Passagen wie "Ich glaube fest an die Unterschiedlichkeit von Geschlechtern und Rassen", was Gärtner in ihrem Text gleich an zwei verschiedenen Stellen zitiert. Ebenfalls gedoppelt wird der Vorwurf, dass Damore sich nach seiner Kündigung "in ultra-rechten Medien ausgeweint" habe. Dass Damore sich von Rechtsextremen distanziere, präsentiert Gärtner als einen durch den Todesfall in Charlottesville ausgelösten "Sinneswandel". (Tatsächlich gibt es keinen Beleg dafür, dass Damore jemals rechtsextremes Gedankengut vertreten hatte.) Die Integration von Frauen schließlich halte Damore "der psychischen Gesundheit der (männlichen) Beschäftigten nicht für zuträglich", sondern für einen "Akt der seelischen Grausamkeit".

Nach diesem Artikel ist die eigentliche Frage, wie ein solcher Ultra-Nazi wie Damore überhaupt so lange für Google tätig sein konnte.

In weiteren Ausführungen Birgit Gärtners geht vollkommen unter, dass Damore keineswegs Frauen aus seinem beruflichen Sektor heraushalten wollte, sondern nur nach intelligenteren Wegen als Diskriminierung suchte, um Frauen zu fördern:

Wir Frauen sind also nicht nur zu zart gebaut, sondern auch zu zart besaitet für die durch echte Kerle geprägte Arbeitswelt. Echte Kerle wie James Damore, Männer mit Visionen und hart im Nehmen, die ihre gut bezahlten Domänen mit Zähnen und Klauen verteidigen. Gegen Eindringlinge aller Art - vor allem aber gegen uns Frauen.

(...) Die häufig "Manifest" genannte Schrift und der Umgang des Konzerns mit dem doch eher ideenlos anmutenden Wiederkäuer ewig-gestriger Vorstellungen über die biologische Bestimmung der Frau, löste nicht nur in den USA heftige Debatten aus.

(...) Beobachtungen zufolge würden Männer, so Damore, selbst wenn sie direkt nach der Geburt kastriert würden und als Mädchen erzogen worden wären, sich trotzdem als Männer identifizieren. Woher hat er das bloß? In welcher Kultur oder Gesellschaft werden solch barbarischen Menschenversuche durchgeführt?


Auch dass Damore sich auf biologische Gegebenheiten beziehe, erscheint in Gärtners Text als menschenverachtend: "Der Punkt ist, dass unsere Biologie immer gegen uns Frauen verwendet wird" – und zwar auch um "sich gewaltsam an uns abzureagieren, was nicht selten zum 'Tod führt." Die letzte steile These schafft Gärter nicht einmal mehr irgendwie logisch zu begründen, aber irgendwie bereitet offenbar jeder, der beim Thema Geschlecht über biologische Faktoren spricht, dem Frauenmord die Bahn.

Es ist keine Überraschung, dass die Leser des Artikels ihn Birgit Gärtner nur so um die Ohren hauen – was diese als Beleg für typische frauenfeindliche Männeraggression wahrnehmen dürfte.

Der Leser Weird Wire etwa macht Gärtner darauf aufmerksam, dass sie die vermeintliche Äußerung Damores, die Gärtner gleich doppelt zitierte, schlicht falsch übersetzt hatte:

Man hat den Eindruck, daß die Autorin leider des Englischen nicht wirklich mächtig ist.

So wird aus

"I strongly believe in gender and racial diversity"

"Ich glaube fest an die Unterschiedlichkeit von Geschlechtern und Rassen."

Diversity heisst Vielfalt auf deutsch.


So wird jemand, der für eine Kultur unterschiedlicher Ethnien und Geschlechter eintritt, auf Telepolis zum Rechtsextremen geschrieben.

Der Leser Patenthalse beantwortet Birgit Gärtners polemisch gemeinte Frage "Woher hat er das bloß? In welcher Kultur oder Gesellschaft werden solch barbarischen Menschenversuche durchgeführt?" ganz sachlich mit einem Verweis auf den Fall David Reimer. Dirk Gehse beantwortet Gärtners Frage, woher Damore das bloß habe, mit "Aus wissenschaftlichen Studien, die er auch im Orginaldokument zitiert und verlinkt hat." Und er stellt klar, dass Damore keineswegs Frauenförderung als "seelische Grausamkeit" betrachtet, sondern unzufrieden ist mit der mangelnden Diskussionskultur bei Google.

Marmer bezeichnet die Behauptung, in der IT-Branche würden vor allem weiße Männer arbeiten, als "Lüge":

Es ist jedem bekannt dass Google weit ueberproportional Asiaten beschaeftigt und dass deshalb auch Weisse unterrepraesentiert sind. Natuerlich soll diese Luege dazu dienen, um ganz klar zu machen, wie rassistisch und sexistisch die Dinge in der IT-Branche laufen. Es soll Betroffenheit ob der angeblich so ueblen Aussagen von Damore geschaffen werden, damit seine Entlassung gerechtfertigt erscheinen soll. Die Linke will unsere Demokratie abschaffen und die freie Meinungsaeusserung durch einen neuen Totalitarismus ersetzen. Wir sind schon so weit, dass die Hetzer dazu aufrufen, jemanden zu bestrafen, der die These aufstellt, dass Frauen und Maenner unterschiedliche Praeferenzen haben koennten. Das muss man sich mal vorstellen. Das ist genauso, als wuerden die Kreationisten verlangen, dass man jeden, der eine darwinistische Idee aeussert, feuern sollte.

(...) Es ist voellig egal, ob eine Frau im Schnitt genauso schlau ist wie ein Mann. Es reicht, dass sie ihre Faehigkeiten im Schnitt fuer was anderes verwenden will, um die Beschaeftigungssituation bei Google zu erklaeren. Was muss man fuer ein kranker Geist sein, um solche sich natuerlich ergebende Dinge bekaempfen zu wollen? Woher kommt dieser totalitaere Impuls, den anderen Menschen die eigene Ideologie auf Teufel komm raus aufzwingen zu wollen? Warum hassen diese Menschen unsere liberale Welt so sehr? (...) Woher kommt diese Wissenschaftsfeindlichkeit? (...) Auf der Linken sind es gerade die Bestausgebildeten, die mit agressivsten Methoden gegen die Wissenschaftlichkeit vorgehen, wo es ihrem religioesem Empfinden und Machtwillen entgegensteht.


Wie gekonnt der Leser "djadmoros" Gärtners Artikel von Anfang bis Ende filetiert, sollte man am besten vollständig lesen. So erwidert er auf Gärtners Statement "Wir Frauen müssen Grenzen aufzeigen und unsere Rechte einfordern":

Wir Männer auch, und zwar insbesondere gegenüber einem institutionalisierten Bonzenfeminismus, der ideologieschwangere Elaborate wie das von Birgit Gärtner schon seit langem zur diskursiven Lufthoheit erhoben hat. Und genau das ist das Privileg, um dessen Verlust Frau Gärtner fürchtet.

Und das dürfte auch erklären, warum sie sich mit ihrer Falschdarstellung einen hoch aggressiven diskursiven Gewaltakt leistet.


An anderer Stelle merkt "djadmoros" an:

Das eigentlich Infame an Gärtners Artikel ist ja, dass sie das alles schreibt, nachdem sie eine Woche lang Zeit hatte, sich sachkundig zu machen. Als die erste Welle der Falschdarstellungen durch die deutsche Presse ging, konnte man das noch mit einer (mutmaßlich) fahrlässig übernommenen Tickermeldung erklären (entschuldigen schon weniger).

In Gärtners Artikel wird diese Falschdarstellung aber noch einmal aktiv nachziseliert. Im Dienste einer unkorrigierbar gewordenen Ideologie, in der sich das ganze Sektierertum des Feminismus offenbart.


Offenbar fühlen sich so manche Journalisten von einer derart vernichtenden Kritik ihrer Leser massiv gestört – erst recht wenn die Leser wesentlich ideologiefreier und sachkundiger sind als die Journalisten selbst. Worauf die Leserkommentare wesentlich besser bewertet werden als der eigentliche Artikel. Und genau deshalb werden unter bestimmten Artikeln die Kommentarspalten lieber von Anfang an dicht gemacht. Denn für die Alternativlösung – keine Beiträge mehr veröffentlichen, die mit Leichtigkeit zerpflückt werden können – fehlen verschiedenen Medien längst die Kapazitäten.

Eine faire Analyse von Damores Text findet man beim Gurian Institute ("Learning Through a Gender Lense") unter der Überschrift Let's Use Hard Science to Help Tech Companies Advance Women. Diese Einrichtung ist von Männerrechtlern weit entfernt, auch hier geht es in erster Linie um die Förderung von Frauen. Dem unbenommen unterscheidet sich diese Analyse von Birgit Gärtners Aufsatz wie der Tag von der Nacht. Ein Auszug:

On the day Google software engineer James Damore was fired for writing a Memo about Google’s diversity programs that went viral, my daughter Davita, 24, shot me a quick text: "Dad, I can’t believe they fired the guy. That was the wrong move." We met the next day and talked at length. The conversation was a wonderful blend of perspectives from a young millennial woman and a baby boomer man. Our conversation kept coming back to this point: Isn’t it time our culture and its businesses used science to solve gender issues rather than just ideological conformity?

For anyone who hasn’t followed this: Damore wrote a brief treatise on Google’s gender policies. His position was a moderate one, agreeing that there are gender gaps and calling for continued study and policy advancement to help women, but also suggesting that gender science, not just ideology, would help deal with the gaps effectively. Science, he argued, can bring more women in because it can help workplaces like Google make jobs more attractive to the various ways that women approach their work — some of those ways show difference from male approaches.

(...) This science is crucial to this conversation because Damore based much of his Memo on it. Both Davita and I wished he had footnoted his research — this might have helped him make his case more strongly - but the research he refers to is available to anyone who wants to pursue it.

(...) There simply is no single cause for gender gaps; rather, gender gaps exist for multiple reasons. In his Memo, Damore tried to make this point and his firing is reminiscent of what happened to Larry Summers, the president of Harvard University more than a decade ago, when he asked his academic community to expand its study of gender gaps in STEM to include all diverse areas of potential research, including neuro-biology. His call to push beyond ideological conformity to a multi-systems approach led to his termination and I felt for him and I feel for Damore. I also feel for academic institutions like Harvard and tech giants like Google. No one here is malicious; everyone is protective. Even Damore and Summers, who are accused of harming women by calling for expanded thinking, can see what Barbara Annis and other women have seen: ideological conformity is paralyzing real change for women.

The two firings hinge on the ideological concept that "gender differences" are really "gender stereotypes." But Damore and Summers were right: thousands of studies show clear and significant sex/gender differences between males and females. This science of gender difference does not show every female and male on the gender spectrum to be different in the same exact way; rather, it shows gender trait difference. Gender trait difference does not grow from culture-based stereotypes — they are facts and they appear in all cultures and races.

(...) With this knowledge in tow, a university or corporate hierarchy that posits the non-existence of gender trait difference is far behind the available science. It is like those people who claim evolution doesn’t exist or that climate change is a hoax. One can make those arguments ideologically, but that won’t stop evolution from continuing its growth patterns nor the earth from getting more climatologically volatile.

(...) The anti-science bias in [Google's decisison to fire Damore] has two faces, both well-meaning but both untrue. First, the science of gender difference is not gender stereotyping but, in fact, real, as the sources above will prove to any executive or person who studies them. Second, even if someone felt like that gender trait difference constituted untrue gender stereotypes, there is no hostility in the science. Hostility is, by its very nature, a violent attack on a person or group. Damore was not hostile nor violent; he was measured and scientifically accurate.

(...) Even more stunning, in my view, is the fact that ideological conformity using hostility as its battering ram often biases itself into doing the very gender stereotyping it is trying to protect women from! This happens unconsciously and takes over a corporate culture. Without realizing it, the corporation stereotypes women as so fragile they can’t be involved in either free speech or, even more interesting, scientific discussion. Institutions that keep this kind of gender stereotyping alive and well think they are protecting women from scientific discussion that might seem unsafe to them but miss the fact that this kind of ideological conformity utterly disempowers women.


Wir leben in der irrwitzigen Situation, dass Menschen, die Wissenschaft benutzen wollen, um Frauen zu fördern (ohne Männern zu schaden), von meinungsstarken Ideolog*_Innen als "rechts" etikettiert werden. Mehr noch: Diese bizarre Haltung hat in unseren Medien die Lufthoheit.

In meinem Buch "Plädoyer für eine linke Männerpolitik" trete ich für einen "Integralen Antisexismus" ein. Definiert habe ich diesen Ansatz so:

Die Bekämpfung von Sexismus gegen beide Geschlechter statt, wie es bislang häufig geschieht, gegen Frauenfeindlichkeit allein. Da der bisherige Ansatz selbst sexistisch ist, verspricht er bei der Bekämpfung von Sexismus nur begrenzten Erfolg. Integraler Antisexismus gehört zum Repertoire der Männerrechtsbewegung (Maskulismus).


Die Ereignisse der vergangenen Wochen haben meines Erachtens gezeigt, dass für das maskulistische Konzept eines Integralen Antisexismus die Säule

1. Man sollte die geschlechtsspezifischen Problemlagen, Anliegen und Diskriminierungen aller Menschen (einschließlich der Männer) berücksichtigen.

noch zu kurz greift. Wesentlich für einen Antisexismus, der allen Menschen hilft, sind offenkundig zwei weitere Säulen:

2. Man sollte eine freie und offene Debatte ermöglichen, bei der die Sanktionen für abweichende Meinungen auf einer niederschweilligen Stufe bleiben (also zum Beispiel Widerspruch statt fristloser Entlassung).

3. Man sollte eine Debatte bewerkstelligen, die sich an der gegenwärtigen Forschungslage orientiert, dem Stand der Wissenschaft, statt den Wünschen von Ideologen, wie die Welt sein sollte.

Natürlich sind Säule 2 und 3 ohnehin Grundlage meiner Arbeit im Bereich Gender. Aber man sollte vielleicht einmal ausformulieren, dass diese Haltung auch Frauen nutzt und nicht allein Männern. Die radikalfeministische Dichotomie "Wissenschaft oder Frauenschutz" war schon immer scheiße.

Für das Schlusswort gebe ich zurück an das Gurian Institute:

Ultimately, the question our corporate leader must ask is: "Do I really believe human life is a dance between hostile men and fragile women?" If we think it is, we will keep firing the Summers and Damores of this world, and we will keep the culture conversation simplistic, not rigorous. But if we can come forward into the new millennium and accept complexity, we will move our corporate life toward more science and less ideological conformity.

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