Montag, Dezember 12, 2016

Vermischtes vom 12. Dezember 2016

1. Unter der Überschrift "Wer uns nicht versteht, ist dumm" rechnet Hans-Dieter Rieveler auf Telepolis mit der Linken im Allgemeinen und der taz im Besonderen ab. Ein Auszug:

Ob Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit oder Wohnungsnot, soziale Probleme werden für das Zentralorgan der Grünen erst interessant, wenn sie Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund oder LSBTTIQ (lesbische, schwule, bisexuelle, transgender, transsexuelle, intersexuelle und queere Menschen) betreffen. Denn die anderen, "alte weiße Männer" zum Beispiel, sind, der neoliberalen Logik gemäß, selbst schuld, wenn es ihnen nicht gut geht. Sie werden ja nicht diskriminiert.

Hat man diese Denke erst einmal verinnerlicht, dann erspart man sich lästige Zweifel an der eigenen linken Gesinnung, wenn man beispielsweise fordert: "Besteuert endlich das Schnitzel". Essen "Hartz-IV-Empfänger" nicht eh zu viel Fleisch? Und sollten sie sich, sofern sie über keinen Migrationshintergrund verfügen, nicht dringend einmal mit der Debatte um Critical Whiteness befassen, um sich ihre Privilegien als Weiße bewusst zu machen? So wie der "Penner" auf dem Bahnsteig der U-Bahn, der eine taz-Autorin rassistisch beschimpft haben soll, was diese als Ausdruck "gesellschaftlicher Machtverhältnisse" interpretiert.

Während heterosexuelle weiße Männer ohne Migrationshintergrund also per definitionem keinen Grund zur Klage haben, ist kein Problem von Angehörigen anerkannter Opfergruppen zu gering, um nicht in epischer Breite diskutiert zu werden. Breiten Raum gibt die taz etwa immer wieder den Luxusproblemen von Frauen in der Filmbranche, ob diesseits oder jenseits des Atlantiks.


Gegen Ende des Artikels attestiert Rieveler der Linken, dass sie

so etwas wie gesamtgesellschaftliche Solidarität gar nicht mehr auf dem Schirm hat und stattdessen, ähnlich wie Margaret Thatcher – "There is no such thing as society" – und andere neoliberale Vordenker, nur Individuen kennt, die, wenn sie keiner anerkannten Problemgruppe angehören, ihre Probleme nur selbst verschuldet haben können.




2. Der rhetorisch analog zu rassistischen Texten aufgebaute Artikel von Martin Niewendick hat in der männerpolitischen Bloggercommunity gestern für einige Aufmerksamkeit gesorgt. Lucas Schoppe führt aus, inwiefern dieser Text so exemplarisch für das gegenwärtige Versagen von Teilen der Linken ist:

Niewendicks Text ist gleich in doppelter Hinsicht radikal verkorkst, damit aber auch interessant. Erstens, und das ist offensichtlich, ist er ein Beispiel für eine Geschlechterdebatte, die sich an die Wand gefahren hat. Zweitens – und das wird auf den zweiten Blick deutlich – ist er ein Beispiel dafür, dass eine postmoderne identitäre Linke vollkommen die Fähigkeit verloren hat, auf Ressentiments von rechts angemessen und klar zu reagieren.

(...) Anstatt sich der Politik mit Klischees in den Weg zu stellen, bestehen ihre Vertreter darauf, dass doch – bitteschön – nur die richtigen Klischees verwendet werden sollten. Als ob böswillige Ressentiments immer schon ganz in Ordnung wären, solange sie nur die Richtigen träfen.

Wer politische Auseinandersetzungen auf Auseinandersetzungen von Gruppenidentitäten reduziert, wer Frauen gegen Männer, People of Color gegen Weiße, Homo- und Transsexuelle gegen Heterosexuelle, Migranten gegen "Biodeutsche" und schließlich die Vertreter der Liebe gegen die des Hasses ausspielt: Der agiert eben zwangsläufig selbst mit Klischees und verliert die Fähigkeit zu ihrer Kritik.

(...) Das Problem (...) sind nicht die Informationen selbst: Was Linken ebenso fehlt wie Rechten, ist die Fähigkeit, mit ihnen auch seriös umzugehen. Es ist kein selbstverständlich geteiltes Wissen mehr, dass einzelne Taten – auch mehrere ähnliche Taten – sinnvoll nicht einfach verallgemeinert werden und auf alle Angehörigen einer Gruppe bezogen werden können.

Wer zu Recht erwartet, dass ein Verbrechen durch einen Flüchtling nicht auf alle Flüchtlinge projiziert werden sollte – der muss dann eben auch darauf verzichten, alle Männer als potenzielle Vergewaltiger zu bezeichnen.

Wer sich Überfremdungsphantasien entgegenstellt, macht sich unglaubwürdig, wenn er zugleich von Patriarchat und Männerherrschaft fabuliert.

Wer Sensibilität für Diskriminierungen von Zuwanderern einfordert, aber zugleich verkündet, dass es keinen Sexismus gegen Männer und keinen Rassismus gegen Weiße geben könne – der formuliert Slogans für seine eigene Filterblase, verzichtet aber darauf, irgend jemanden außerhalb davon überzeugen zu können.

Niewendicks Text führt in seiner tiefen Verkorkstheit mit dankenswerter und aufopferungsvoller Deutlichkeit vor, in welchen bescheuerten Widersprüchen diese Positionen münden.




3. Die Parallelen von Fremden- und Männerfeindlichkeit beleuchtet auch das Blog Geschlechterallerlei.

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