Mittwoch, Januar 13, 2016

Leserbrief (Sexismus bei Spiegel-Online und verzerrende Umfrage)

Einer meiner Leser schreibt mir zu dem fragwürdigen Artikel auf Spiegel-Online, der Leser dazu aufruft, über ihre Erfahrungen mit Sexismus zu berichten:

Bei dem Aufruf liegt noch weiteres im Argen:

1. Formal werden Männer und Frauen aufgerufen. Davon bekommt man jedoch bis kurz vor Ende des Textes nichts mit, da inhaltlich fast durchgehend auf Frauen Bezug genommen wird. So schreibt SPON, dass "die Demütigung von Frauen (...) an vielen Stellen Teil des Systems [ist] – ganz unabhängig von der Abstammung der Täter" und stellt fest: "Tatsächlich werden Frauen immer wieder Ziel von sexueller Belästigung, etwa am Arbeitsplatz." Der Text wird mit einem Bild unterlegt, dass zwei Männer in lasziver Pose zeigt, die einer Frau "nachstarren". Ich sehe hier vor allem einen sexistischen Text!

2. Die verlinkte Umfrage zeigt auf Seite 6, dass Männer häufiger von sexueller Belästigung betroffen sind (linke Grafik), diese aber – im Vergleich zu Frauen - nicht als solche wahrnehmen (rechte Grafik). Die rechts daneben stehende Aussage bezieht sich dann jedoch nicht auf tatsächliche sexuelle Belästigung, sondern auf das "Empfinden". Ich nehme an, es war mit dem derzeit herrschenden Narrativ nicht vereinbar, dass Männer häufiger von sexueller Belästigung betroffen sind.

Dass Männer weniger sensibilisiert sind für sexuelle Belästigung zeigt sich auch auf Seite 4 und dieser Mangel an Sensibilisierung wirkt in zwei Richtungen: Zum Einen führt es dazu, dass Männer möglicherweise Verhaltensweisen an den Tag legen, die sie selbst nicht als sexuelle Belästigung empfinden, Frauen aber schon. Zum Anderen bedeutet das aber auch, dass Männer nach Begriffsverständnis der Frauen sexuell belästigt werden, die Belästigung aber von Männern nicht als solche erkannt/wahrgenommen wird. Diese Diskrepanz hat Auswirkungen auf die Beantwortung der Frage nach der verursachenden Person auf Seite 7 und zwar insbesondere dann, wenn sich die Formen sexueller Belästigung und deren Bewertung/Empfinden zwischen Männern und Frauen unterscheiden. Dazu gibt die Umfrage jedoch keinen Aufschluss.

3. Auf Seite 7 werden die Verursacherinnen bzw. Verursacher abgefragt. Bemerkenswert hier ist, dass - im Gegensatz zu vielen anderen Folien/Fragen - die ursprüngliche Frage nicht angezeigt wird. Tatsächlich ist es so, dass hier Mehrfachantworten nicht möglich waren. Die Frage lautete etwa so:

"Sind die Verursacher sexueller Belästigung mehrheitlich weiblich oder mehrheitlich männlich oder lässt sich das nicht zuordnen?"

Das heißt, wenn ein Befragter den Eindruck hat, die Verursacher wären zu 45% weiblich und zu 55% männlich, dann antwortet er "Männer" oder – im Zweifel - "nicht zuzuordnen". Das bedeutet aber auch, dass mit dieser Frage quantitative Aussagen im Sinne von "wer ist häufiger Verursacher" nicht möglich sind, zumal die Anzahl beobachteter oder erfahrener Belästigungssituationen nicht gewichtend in die Gesamtstatistik eingeht! Die rechts neben der Grafik stehende Aussage, "sowohl Männer als auch Frauen beobachten und erleben am häufigsten Belästigungen durch Männer" ist grob irreführend und kann aus der Umfrage nicht abgeleitet werden!

Zudem fällt auf, dass mit keinem Wort darauf eingegangen wird, dass Männer bei erlebter sexueller Belästigung Frauen und Männer etwa gleichermaßen als Verursacher identifizieren. Woher kommt nun die Diskrepanz, zwischen beobachteten Verursachern und erfahrenen Verursachern, wenn Männer sexuell belästigt werden? Seite 9 gibt darüber Aufschluss: Männer werden überproportional in Mails und SMS belästigt. Dieser Befund findet sich auch auf Seite 5 der Umfrage. Diese Formen sexueller Belästigung sind in ihrer Form für Dritte nicht beobachtbar und das Antwortverhalten auf Seiten 5 und 9 ergibt Hinweise darauf, dass sich die Formen sexueller Belästigung zwischen Männern und Frauen stark unterscheiden. Im Zusammenhang mit den unter Punkt 2 erwähnten Defiziten ergibt sich, dass in Frage 7 keine aussagefähigen Ergebnisse zu erwarten sind. Insbesondere wird nicht klargestellt, dass es auch nicht-beobachtbare, nur-erfahrbare Formen sexueller Belästigung gibt und Männer überproportional von diesen Formen sexueller Belästigung betroffen sind.

Bemerkenswert übrigens an dieser Stelle: Die falsche Aussage, Männer wären häufiger Verursacher, befindet sich zusätzlich auch noch auf Seite 6, obwohl bis dahin die Verursacher noch gar nicht abgefragt wurden und Seite 6 auch nichts mit Verursachern zu tun hat. Die vorweggenommene Aussage ist dort mit folgendem Hinweis versehen: "siehe nachfolgende Folie". Wahrscheinlich, damit auch den dümmsten Lesern klar wird, was die Kernaussage der Umfrage sein soll.

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