Mittwoch, September 30, 2015

Tristan Rosenkranz: "Darum ziehe ich mich von männerpolitischer Arbeit zurück"

Nach seinem Rücktritt vom Vorsitz der geschlechterpolitischen Initiative Gleichmaß hat Tristan Rosenkranz heute eine persönliche Erklärung online gestellt, die die Hintergründe seines Rückzugs von der männerpolitischen Arbeit ausführt. Dabei wird deutlich, dass "besagter Vorfall nicht der einzige Grund war, sondern lediglich das markante Ende eines Weges". Rosenkranz nennt eine ganze Reihe von Gründen für seinen Schritt:

Volksvertreter, die Wahlversprechen machen und sich hinterher lediglich bruchstückhaft erinnern, wenn nicht komplett verleugnen lassen

Verbände, Trägerschaften und Organisationen, die im Windschatten eines bzw. von einem System profitieren, welches durchweg und quasi "top to bottom" von diskriminierenden Denkansätzen und Handlungsmustern durchzogen ist

Medienvertreter, die hochgradig ideologische und verleumderische Berichterstattung fahren und damit bewusst ausblenden und verzerren, dass beide Geschlechter unter Konflikten oder Diskriminierung leiden und Hilfe benötigen

Mitmenschen, die mir Frauenhass, Verbitterung oder Fanatismus unterschieben wollen, weil ich keine für Frauenrechte eintretende "Powerfrau", sondern ein für die Rechte des männlichen Geschlechts eintretender Mann bin

Männer, die aufgrund ihrer Konstitution einer extrem hohen Schamschwelle und Kanalisierung von Konflikten in Depressionen, Sucht, Gewalt oder Suizid sowie Einzelkämpfermentalität nicht in der Lage sind, sich für die Schaffung von Hilfebedarfen einzusetzen

Männer, die in Foren und Blogs endlose und unglaublich schlaue Debatten führen, aber nirgends da draußen für jene in Erscheinung treten, über die debattiert wird

Männer, die sich im solidarischen Sinne gegenseitig das Wasser abgraben, weil jeder der Platzhirsch ist und jeder das bessere Konzept hat

Männer, die es schon immer besser wussten und insbesondere dann mit Projektion auffahren und an Nebensächlichkeiten die ganz große Kritik aufbauen, wenn man einen Erfolg zu verbuchen hat

Männer, die es nicht schaffen, Danke zu sagen, den Kaffee mitzubezahlen oder den Verein zu unterstützen, wenn man ihnen Lebenszeit widmet und Hilfe organisiert

"Man müsste mal"–Menschen


Viele von den Gründen, die Rosenkranz nennt, zermürben seit Jahren auch andere Menschen, die männerpolitisch an vorderster Front stehen. Jedem, der männerpolitisch an der Front stehen möchte, würde ich nach 15 Jahren Erfahrung die folgenden Ratschläge geben:

- Du musst damit klar kommen, dass sich 95 Prozent der Männerbewegung auf den sogenannten slacktivism beschränken, also Foren und Kommentarspalten vollbloggen, um sich hinterher mit großen Augen darüber zu wundern, dass trotz "all dieser jahrelangen Arbeit nichts passiert". Politische Aktionen wie in anderen Ländern wird es hierzulande und in dieser Generation der Männerbewegung nicht geben, und sie wird dadurch viel weniger effektiv sein. Damit muss man sich abfinden.

- Du musst damit klar kommen, dass etliche Menschen auf unterschiedlichste Weise deine Zeit fressen möchten, und du musst diese Leute abblocken können. Dazu gehören beispielsweise die von Tristan Rosenkranz angesprochen "Man-müsste-mal"-Arschlöcher (etwa: "man müsste mal eine Petition an den WDR schreiben"), was im Klartext IMMER bedeutet: "Macht ihr mal, ich habe mit dieser Arbeitsanweisung nun wirklich genug geleistet". Dazu gehören Leute, die endlos über irgendwas diskutieren wollen und vollkommend taub reagieren, wenn man ihnen erklärt, gerade wirklich im Stress zu sein und keine Zeit zu haben. (Ich hatte gerade diesen Sonntagvormittag das Vergnügen mit einem Vogel auf Facebook, der unbedingt mit mir über Syrien diskutieren wollte, dem ich viermal erklärte, dass ich gerade zwei Stunden an Genderama-Beiträgen gearbeitet hatte und noch einiges beruflich tun müsste, und der darauf immer pampiger wurde, bis er sich irgendwann zu "du hast 'nen Knall" gesteigert hatte.) Solche Leute haben neben Rechtsradikalen die höchste Chance von allen, von mir zügig blockiert zu werden. Generell gesprochen scheint Facebook Missionare, Verschwörungstheoretiker und Menschen mit einem narzisstischen Sozialverhalten anzuziehen. In den meisten Fällen muss man solche Leute aber nicht entfreunden; es genügt, wenn man von "abonnieren" auf "nicht mehr abonnieren" wechselt.

(O - und natürlich hat von den zig Leuten, die täglich an dir zerren, jeder den Eindruck, dass er der einzige ist, und ist mitunter ernsthaft fassungslos, wenn du unwirsch reagierst.)

- Du musst akzeptieren lernen, dass du manche Verleumdungen ignorieren musst und nicht alles ausdiskutieren kannst. Eine Radikalfeministin, die nicht nur jeden deiner Beiträge, sondern auch jedes Blogpost, das du verlinkst, und jedes Buch, das du nennst, nach "bedenklichen" Stellen durchforstet, um dich der "Frauenfeindlichkeit" bezichtigen zu können, wirst du im Gespräch mit Sicherheit nicht überzeugen können, dass sie falsch liegt. Spar dir die Zeit, und versuche es gar nicht erst. Dasselbe gilt für aus der fundamentalistischen Männerszene gezielt gestreute Phantasien wie etwa, dass du dich nur deshalb gegen Rechtsradikale positionierst, weil dir dafür irgendein hochbezahlter Job in der Politik winke. All dieser Dreck versendet sich; er ist es nicht wert, dass du deshalb zeitliche Abstriche bei wichtigen Dingen machst. Wenn du mit jedem Fanatiker im Web eine eigene Debatte führen würdest, hättest du viel zu tun. Auch wenn du von einem Blogger, der Schwule hasst, die ersten drei Blogbeiträge zu diesem Thema gelesen hast, brauchst du das bei den nächsten 17 nicht ebenfalls zu tun. Es steht höchstwahrscheinlich nichts Neues drin, du kannst allenfalls bei einer Zwangsneurose zuschauen.

- Du musst damit leben lernen, dass die Unterstützung deiner Arbeit durch die Männerszene trotz einiger unermüdlicher Einzelkämpfer insgesamt sehr ... ausbaufähig ist. Beispielsweise unterstützt nur ein Prozent der regelmäßigen Leser von Genderama dieses Blog auch durch Spenden. Nur ein Bruchteil der Leute, denen ich Gratisexemplare meines Buches "Not am Mann" zuschickte, veröffentlichten dafür auch den im Gegenzug versprochenen Beitrag. Und als die männerfreundliche Feministin Robin Urban in der Kommentarspalte des Blogs Alles Evolution einmal vorschlug, dass man statt Bücher von Frauen wie "Tussikratie" auch mal eines meiner neu erschienenen Bücher näher vorstellen könnte, war die Antwort vorhersehbar: Gruppenkeile gegen Robin natürlich. Wenn du mit solchen Dingen nicht klar kommst: Geh nicht an die Front der Männerbewegung.

- Verzettel dich nicht, indem du an zu vielen Fronten zugleich kämpfst. Gerade aktuell wirkt es einerseits notwendig, der grassierenden Fremdenfeindlichkeit in unserer Gesellschaft entgegenzutreten. Ich habe lange Jahre täglich Beiträge gegen Sexismus und gegen Rassismus veröffentlicht, was nur dazu führte, dass es mich massiv zermürbt hat und ich mir selbst einige Monate Auszeit nehmen musste. Dem unbenommen folgte eine Reihe bizarrer Schriften von Leuten wie Thomas Gesterkamp, Andreas Kemper, Jörg Rupp und Co., die mich irgendwie in die rechte Ecke schieben wollten. Die Ironie bei der Sache: Die durch solchen Irrsinn entstehenden Blokaden führen nur dazu, dass sich linke Männerrechtler antirassistischer Arbeit erst wieder verstärkt widmen können, wenn beim Kampf gegen Sexismus Fortschritte gemacht worden sind. Noch deutlicher: Die linke Szene verjagt mit solchen Hasskampagnen ihre eigenen potentiellen Unterstützer.

- Von der Zusammenarbeit mit dem rechten Lager würde ich aber nicht nur aus ideellen Gründen abraten, sondern auch, wie aktuell der Fall Tristan Rosenkranz zeigt, hier nichts zu gewinnen ist. Das rechte Lager signalisiert seit über zehn Jahren, dass es am Thema Männerdiskriminierung nicht ernsthaft interessiert ist; stattdessen versucht es nur, dein Engagement für eigene Ziele auszunutzen. Dazu kommt, dass jeder Kontakt mit Rechtskonservativen entweder von feministisch orientierten Politstrategen zur Denunziation ausgenutzt oder von ihren naiven Gefolgsleuten tatsächlich missverstanden wird. In einer rationalen Gesellschaft müsste es möglich sein, dass ein studierter Medienwissenschaftler auch Artikel aus der Jungen Freiheit verlinken und sie diskutieren kann. In unserer Gesellschaft zieht das unweigerlich Rufmord nach sich.

Das sind so die Sachen, die man menes Erachtens wissen sollte, damit man sich nicht zur Gratishure von allen und jedem macht. Diese Dinge lernt man aber auch erst in mehr als einem Jahrzehnt männerpolitischer Arbeit. Ob einem das wert ist, muss jeder für sich selbst entscheiden. Im Prinzip gilt hier schlicht dieselbe Regel wie beim Fußball: Wer den Ball hat, der wird nun mal angegangen. Wenn jemand wie Tristan Rosenkranz, der durch seine diversen Tätigkeiten noch dichter an der Front gestanden hat als ich, irgendwann die Schnauze voll hat, habe ich dafür jedenfalls absolut Verständnis.

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