Sonntag, April 14, 2013

Hin zu einer maskulistischen Filmkritik: "Oblivion" mit Tom Cruise

Nachdem ich hier vor einigen Tagen das Konzept einer maskulistischen Filmkritik angerissen habe, hat es mich natürlich gereizt, bei meinem nächsten Kinobesuch mit Freunden diese Perspektive einmal gezielt anzuwenden und hier zur Veranschaulichung näher vorzustellen. Das Bloggen bietet einem ja anders als das Bücherschreiben die Gelegenheit, ein wenig mit Ideen zu experimentieren, die noch sehr unfertig sind. Der Film, den wir gestern Abend besuchten, war "Oblivion" mit Tom Cruise – und er bietet erfreulicherweise eine Möglichkeit der maskulistischen Analyse und Interpretation, die sich nicht darauf beschränkt, lediglich männerfeindliche Klischees ausfindig zu machen. Wer nicht gespoilert werden möchte, sollte hier aufhören zu lesen, denn ich verrate den kompletten Plot.

Die Geschichte spielt 60 Jahre in der Zukunft, wir schreiben also 2073. Die Menschheit wurde von Außerirdischen angegriffen, gegen die sie sich siegreich verteidigen konnte, wobei aber die Erde verwüstet wurde, weshalb die verbleibenden Menschen in eine Raumstation flüchten mussten. Der Flugdrohnenmonteur Jack Harper, gespielt von Tom Cruise, und seine Kollegin Victoria ("die Siegerin"), gespielt von Andrea Riseborough, überwachen den Abbau lebenswichtiger Ressourcen. Dabei entspricht die Aufteilung ihrer Aufgaben den klassischen Geschlechterrollen: Victoria bleibt in der Sicherheit ihres Zuhauses, während ihr Partner draußen für das Überleben sorgt und dabei sein eigenes Leben immer wieder aufs Spiel setzt. Auf dem Armaturenbrett seines Raumfahrzeugs hat Jack eine männliche Wackelfigur mit dem Namen "Bob" aufgestellt. In ihrer Wohnung leben Jack und Victoria in einer kalten und sterilen Welt wie ein Ehepaar zusammen, jedoch ohne Kinder. Die klassische Familie scheint zu den Dingen der Vergangenheit zu gehören, die von den Aliens zerstört worden sind. Allerdings steht Victoria in ständigem Kontakt mit einer Frau namens Sally von der "Mission", einer Instanz, die nicht nur ihre Arbeit überwacht, sondern sich reichlich aufdringlich auch immer wieder danach erkundigt, ob in der Partnerschaft noch alles stimmt, fast wie eine nervige Schwiegermutter Jacks. (Im weiteren Verlauf der Analyse werde ich die "Mission", wie im Englischen üblich, als "Miss" abkürzen.)

Schon zu Beginn des Films gibt es einen Hinweis darauf, dass Jack diese Konstellation als einengend und unterdrückerisch empfindet: Er setzt sich, ohne dies zuvor mit seiner Partnerin abzusprechen, bei einem seiner Aufträge ab, um einige Zeit in der noch nicht verwüsteten Natur zu verbringen. Hier tritt ein Topos auf, den man in der US-amerikanischen Literatur seit Mark Twains "Huckleberry Finn" kennt, und den man in Hucks Worten als "lighting out for the territory" bezeichnet. Huckleberry Finn setzt sich ab in die Wälder, wenn ihm die ständigen Überwachungen, Ermahnungen und Kontrollversuche seiner Tante Sally und der benachbarten Witwe Watson zuviel werden. Seit ihm haben männliche Figuren in der amerikanischen Literatur immer wieder ähnlich gehandelt.

Bei einem seiner Flüge stößt Jack auf eine Schlafkapsel mit dem Körper einer bewusstlosen Frau darin. Bei dem Versuch, sie zu bergen, wird er von Fremden angegriffen, die er zunächst für die Außerirdischen hält, die sich dann aber als eine Gruppe überlebender Menschen entpuppen. Es handelt sich zwar um beide Geschlechter, weil anderes von der Erzähllogik wenig Sinn ergeben würde, aber die Frauen sind praktisch nur Statisten: Sprechrollen erhalten nur die Männer, und nur mit ihnen tritt Jack in erwähnenswerte Interaktion. (So ungefähr mag sich ein Außenstehender die Männerbewegung vorstellen.) Die Widerständler klären Jack darüber auf, dass das, was er bislang für die Wirklichkeit hielt, eine komplexe Lüge darstellt: Er und seine Kollegin Victoria waren vor Jahrzehnten von den Außerirdischen gefangen genommen, die ihre Erinnerungen löschten und sie massenhaft klonten, um sie zu ihren Dienern zu machen. Jack und Julia (die Überlebende, die er zu bergen versuchte) sollen sich dem Widerstand anschließen und eine Plutoniumbombe zu der im Erdorbit schwebenden Raumstation der "Miss" bringen, um diese hochzujagen.

Jack zögert zunächst, diesen Auftrag zu übernehmen, lässt sich von Julia aber auf die Ruine des Empire State Buildings führen (in feministischer Lesart ein riesiges Phallussymbol). Auf dessen Aussichtsplattform erlangt Jack seine Erinnerung wieder: Er hatte Julia in seinem früheren Leben auf dieser Plattform einen Heiratsantrag gemacht. Die beiden fliegen zurück zu Jacks und Victorias Quartier, wo Victoria beim Erblicken Julias Jack den Zugang zur ehemaligen Wohnung verweigert und fast augenblicklich an ihre Kontaktfrau bei der "Miss" zurückmeldet, sie und Jack stellten keine funktionierende Partnerschaft mehr dar, woraufhin auf Jack und Julia das Feuer eröffnet wird. In dem folgenden Gefecht kommt aber nur Victoria ums Leben.

Jack zeigt Julia die Waldidylle, in die er sich zuvor alleine zurückgezogen hatte. Dort entscheidet sich Jack, den Widerständlern zu helfen. Auf dem Weg zu ihnen gerät Jack in einen Konflikt mit einem seiner Klone. Julia wird angeschossen, aber Jack gelingt es, seinen Klon niederzuschlagen. Kurz darauf erhält Jack von den Widerständlern die Bombe und macht sich mit ihr auf den Weg zur Kommandozentrale der "Miss". Dort gibt es einiges Hin und Her über Funk, bis Jack mit seinem Raumer in die Weltraumstation der "Miss" eindringen darf.

Sowohl bei dem Hin und Her mit mehreren Kontaktpersonen über Funk als auch visuell wird dabei verdeutlicht, dass es sich bei den unterdrückenden Außerirdischen durchgehend um weibliche Wesen handelt. (Zumindest treten sie akustisch und optisch als menschliche Frauen auf.) Diesem gewaltigen Kollektiv steht nun Jack in seinem Raumer gegenüber, der über eine männliche Wackelfigur auf dem Armaturenbrett verfügt und dessen Navigationscomputer als einziges mit männlicher Stimme spricht. Inszeniert wird hier eine winzige, aber mutige und edle Männlichkeit in der Konfrontation mit einer gigantischen, unterdrückenden Weiblichkeit. Als Jacks Raumer die V-förmige Station penetriert, wirkt er wie ein Spermium, das in den Schoß einer Frau eindringt – hinein in die Finsternis und schließlich in eine Art gigantischer Gebärmutter, in der zahllose ungeborene Klone von Jack und Victoria auf ihren Einsatz warten. Dort jagt Jack mit seiner Plutoniumbombe die Station und auch sich selbst in die Luft.

Ich muß sagen, wenn ich eine Feministin wäre, wäre ich an dieser Stelle ein bisschen angefressen. Den gesamten Film hindurch sind Männerfiguren die Helden und Frauenfiguren entweder böse oder unnütz – auch Julia "leistet" in der gesamten Handlung nichts anderes als angeschossen zu werden und daraufhin blutend herumzuliegen. Damit ist "Oblivion" ein perfektes Gegenstück zu vielen Filmen der neunziger bis nuller Jahre, in denen Frauen die Helden und Männer entweder bedrohlich oder unnütz waren. (Man denke etwa an "Thelma und Louise", "Fried Green Tomatoes" oder Jodie Fosters "Panic Room".) Aus maskulistischer Perspektive kann man sich fragen, ob "Oblivion" nicht bewusste oder unbewusste Ängste vor einer Zukunft zum Ausdruck bringt, in der die Frauen herrschen, die Männer zu Hilfsarbeitern degradiert sind, Partnerschaften sterile Arbeitsgemeinschaften sind und die Institution Familie tot ist – eine Dystopie, in der Widerstand durch eine unterdrückte Gegenkultur aber immer noch Aussichten hat, dieses Herrschaftssystem in Trümmer zu legen.

(Wenn ich mich mit Freunden außerhalb der Filmwissenschaften über andere Science-Fiction- oder auch Horror-Filme unterhalte, die aktuelle Zeitthemen wie beispielsweise auch den "Krieg gegen den Terror" aufgreifen, werden solche Interpretationen mitunter als "an den Haaren herbeigezogen" bezeichnet. Man sollte hier deshalb verdeutlichen, dass Filme und andere Erzähltexte solche Themen in den seltensten Fällen in Form einer reinen Allegorie behandeln, in der jedes Element im Film ein Element unserer Wirklichkeit entspricht, sondern oft nur bestimmte Aspekte, Muster oder Einstellungen aufgreifen und in ihre Welt transferieren. Im übrigen sind außer einer maskulistischen natürlich auch andere Interpretationen, beispielsweise eine marxistische oder eine postkoloniale, denkbar.)

"Oblivion" endet mit einer Szene, die Julia mit ihrer (und vermutlich Jacks) Tochter an dem idyllischen Ort lebt, den Jack ihr gezeigt hatte. Beim Herumtollen trifft Julias Tochter einen kleinen Jungen, gefolgt von anderen Überlebenden der Menschheit, darunter Jacks Klon. Auf dem Erbe des Vaters kann so die heile Familie wieder hergestellt werden, die die Feministinnen Außerirdischen zuvor zerstört hatten.

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